Die Komponistin und Konzertdesignerin Jelena Dabic hatte sich schon seit 2019 intensiv mit neuen, hybriden Formaten beschäftigt. Die Gründerin von Silk::Road, einem multimedialen und immersiven Festival im Hamburger Oberhafen, interessiert sich dafür, traditionelle Kulturformate wie ein Konzert mit neuartigen, multimedialen Angeboten zu verbinden. „Das neue Publikum ist mit Games aufgewachsen und in virtuellen Welten zuhause. Gleichzeitig haben wir in der Musik ein Publikum, das noch das Live-Erlebnis sucht. Ich wollte Brücken schaffen, da erschien mir die Extended Reality am besten geeignet.“
Für die Performance „Die Naht“ entwickelte Dabic zusammen mit Regisseur Christian Striboll einen doppelten Raum, in dem der Pianist Marcelo Gama und sieben Performerinnen und Performer sowohl live zu erleben waren als auch in einer 3D-Projektion agierten. Für Publikum wie Künstlerinnen und Künstler eine völlig neue Erfahrung: „Sich parallel auch in 3D zu sehen war ungewöhnlich, aber nur kurz befremdlich oder beängstigend. Wir hatten ein sehr gut gemischtes Publikum“, freut sich Jelena Dabic. Für die Komponistin kam die Förderung durch KULTUR.GEMEINSCHAFTEN deshalb gerade zum richtigen Zeitpunkt. „Wir brauchen innovative Formate, um altes und neues Publikum gemeinsam anzusprechen“, stellt Dabic fest, die schon mitten in der Entwicklung eines neuen Projekts im Rahmen ihrer Reihe Virtual Concerts ist – auch gefördert durch die KULTUR.GEMEINSCHAFTEN.
„Das neue Publikum ist mit Games aufgewachsen und in virtuellen Welten zuhause. Gleichzeitig haben wir in der Musik ein Publikum, das noch das Live-Erlebnis sucht. Ich wollte Brücken schaffen, da erschien mir die Extended Reality am besten geeignet.“ Jelena Dabic
Für die letztjährige Performance „Die Naht“, die übrigens auch weiterhin über die VR-Datenbrille erlebbar ist, ging es um eine musikalische Reise entlang der Donau, die von Deutschland aus durch Europa bis nach Bulgarien fließt. Sieben Näherinnen aus den von der Donau durchflossenen Ländern Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Rumänien und Bulgarien fertigten während der Dauer der Aufführung ein traditionelles Kleidungsstück an, das schließlich der anfangs unbekleidete Pianist anzog. Die Donau symbolisiert damit als eine Art Naht die verbindenden Elemente der Länder. „Die eigene Identität kann man nicht für sich behalten, sondern sie fließt mit anderen zusammen“, erklärt Jelena Dabic die Grundidee ihrer musikalischen Grenzüberschreitung. Dafür komponierte sie die „Donau-Suite“ mit Inspirationen aus traditionellen Volksstücken und Kinderliedern, der Soundtrack der Performance wird immer wieder überlagert vom Rattern der Nähmaschinen. „Als europäische Handelsroute verbindet die Donau und gleichzeitig trennt sie Menschen, Nationen und Ideologien voneinander. Ein Europa heißt auch viele Europa. Gewachsene Pluralität und Verschiedenartigkeit. Wir, in unserer Unterschiedlichkeit, sind gerade deshalb Eins“, erklärt Regisseur Christian Striboll und ergänzt: „Für mich ist Europa kein Flickenteppich, sondern ein melodisches Kleidungsstück.“
Text: Johannes Fellmann
Dieser Beitrag ist im Juli 2022 im Magazin Arsprototo (Ausgabe 01/2022) erschienen.