Geförderte Projekte

Incarc.org: Inklusives Archiv für Medien in Gebärden- und Lautsprache

Deutschland hat erst spät, in den 2000er-Jahren begonnen, sich für Inklusion zu engagieren. Auch erst damals wurde die Deutsche Gebärdensprache als vollwertige Sprache offiziell anerkannt. Als die Regisseurin Michaela Caspar gemeinsam mit Till Nikolaus von Heiseler im Jahr 2009 Possible World e.V. gründete, um u. a. im „hörenden“ Theaterbereich das Bewusstsein für Gehörlosigkeit und Gebärdensprache zu entwickeln, „fiel das deswegen schnell auf fruchtbaren Boden“, berichtet Michaela Caspar. Viele Stoffe haben die inklusiven Theaterteams seitdem auf die Bühne gebracht, taube und hörende Performerinnen und Performer zusammen, von Frank Wedekinds Klassiker „Frühlings Erwachen“ über den Medea-Mythos, Shakespeares „Sommernachtstraum“ bis zum aktuellen Projekt „Vögel“ nach der antiken Komödie von Aristophanes, uraufgeführt 414 v. Chr.

In der rasanten Inszenierung, die in Kooperation mit dem Ballhaus Ost in Berlin entstand, prallen taube und hörende Welt aufeinander: Wie wird Wirklichkeit wahrgenommen, welche Bildersprachen sind universell und wie entstehen neue Kommunikationswege?  Michaela Caspar arbeitete zum ersten Mal bei „Vögel“ mit Giuseppe Giuranna zusammen, einem Pionier der gebärdensprachlichen Kunstform Visual Vernacular, die ausschließlich in der Taubenkultur entstanden ist. Und so fließt diese, in der tauben Welt so populäre „Spieltechnik“, in die Inszenierung ein, ebenso wie Gebärdensprache, Lautsprache, Schrift, Sound und Film.

Auf Incarc.org entsteht mit Unterstützung von KULTUR.GEMEINSCHAFTEN jetzt ein digitales Portal für Theater-, Film- und Medienprojekte in Gebärdensprache und Lautsprache. Es dokumentiert die Inszenierungen, will aber auch eigens entwickelte Instrumente der inklusiven Theaterarbeit international verbreiten: So entstand für die Arbeit am „Sommernachtstraum“ ein Videogebärdensprachbuch, das zu den performten Szenen den Text in eine Art visuell-schriftlichen Partitur verarbeitet (in Deutsch und Englisch, mit teilweise notierten Glossen). So werden die übertragenen Texte anderen Gruppen zugänglich gemacht, mit denen diese dann gut am Stoff weiterarbeiten können. Diese Notation ist notwendig, da die Gebärdensprache beispielsweise eine völlig andere Grammatik nutzt als die Lautsprache.

Bei Shakespeares „Sommernachtstraum“ hat sich Regisseurin Caspar, die selbst nach einem Hörsturz schwerhörig ist und so zur inklusiven Arbeit fand, mit der Choreographin Rajyashree Ramesh und „The progressive wave“ zusammengetan. Ramesh ist eine Expertin für den indischen Tanz Bharatanatyam, einer der acht klassischen Tanzstile in Indien. Diese Bewegungstheaterkunst nutzt codierte Handformen („Mudras“) sowie eine intensive Bewegungslehre, die Caspar bei der Weiterentwicklung ihrer Bühnensprache inspirierten. Die Regisseurin hofft nun, mit dem neuen multimedialen Portal den Austausch auch international zu stärken und mehr Schauspielerinnen und Schauspieler für das inklusive Arbeiten zu begeistern. Sie will vor allem für die Ausbildung des dringend benötigten Nachwuchses werben. „Noch sind die Zugänge aber viel zu verschlossen, es gibt beispielsweise keine staatliche Schauspielausbildung für Gehörlose“, sagt Caspar und fügt hinzu: „Die 30 professionellen gehörlosen Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland sind gefragt wie nie.“ Mit ihren Inszenierungen werden die Gruppen von Possible World seit 13 Jahren deutschlandweit zu Gastspielen eingeladen. Die digitalen Inszenierungen in hervorragender Videoqualität auf Incarc.org machen jedenfalls sofort Lust auf einen Live-Besuch der inklusiven Performances.

Text: Johannes Fellmann

Dieser Beitrag ist im Juli 2022 im Magazin Arsprototo (Ausgabe 01/2022) erschienen.

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