Geförderte Projekte

Nice Gallery: digitale Ausstellungen aus Görlitz für die Welt

Große abstrakte Gemälde der Malerin Anna Nero hängen in einem ausladenden Raum an leicht gräulich gehaltenen Wänden, rechts und links sind Wandtexte angebracht, Deckenlichter sorgen für eine professionelle Beleuchtung der Szenerie. Wenn man die Internetseite des Fördervereins Kulturstadt Görlitz-Zgorzelec (FVKS) besucht, mag man sich möglicherweise über die großzügigen Galerieräumlichkeiten, die denen moderner Museen in Großstädten in nichts nachstehen, wundern. Erst auf den zweiten Blick erkennt man jedoch: Es handelt sich um eine digitale Simulation. „Sechs Ausstellungen. Sechs verschiedene Standpunkte. Sechs dreidimensionale Veranstaltungen: Aus der Ich-Perspektive kannst Du die einzelnen Ausstellungen besuchen, das Arrangement aus Kunst und Raum wird im Internet mit Maus und Tastatur erfahrbar“, lässt sich auf der Website lesen. Die Onlineausstellungen, für die fiktive Räumlichkeiten virtuell erschaffen wurden, bieten einen kleinen Vorgeschmack auf das, was der FVKS noch plant. Denn Anfang November launcht die „Nice Gallery“, die die realen Görlitzer Räumlichkeiten maßstabsgetreu ins World Wide Web übertragen will. Den Projektinitiator und Leiter der Galerie Dr. Matthias Krick trafen wir zum Gespräch.

Herr Dr. Krick, was ist die „Nice Gallery“?

Matthias Krick: Kennen Sie sich ein wenig aus mit Technologie, haben Sie schon mal ein exploratives Videospiel gespielt? So eines, bei dem man sich aus der Ich-Perspektive die Welt erschließt? So haben wir uns das vorgestellt. Wir wollten einen Raum erschaffen, der dem analogen Raum möglichst nahe ist und den man selbstständig erkunden kann, von überall auf der Welt.

Und was wird dort zu sehen sein?

Uns war wichtig, lokale Künstlerinnen und Künstler, die überregional eher unbekannt sein mögen, mit bedeutenden, die bereits Teil des Kanons sind, zu kombinieren. Für die erste Ausstellung, die mit dem Launch der „Nice Gallery“ im November online ging, zeigen wir gleich drei Positionen: „ASA (Abstract Sea Art)“ von Alexander Ostrowitzki, der als Unterwasserfotograf – zumeist – abstrakte Motive festhält; eine Ausstellung der Impressionisten mit ausgewählten Werken aus der Sammlung des Art Institute of Chicago mit u. a. Vincent van Gogh, Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet, Alfred Sisley, Edgar Degas, Paul Cézanne und schließlich eine Ausstellung, die sich unter dem Titel „Materialitäten – 3Klang“ mit ausgewählten 3-D-Objekten und ihren Wechselwirkungen mit dem Raum, mit Formen, Farben und Strukturen beschäftigt. Neben dem Ausstellen von Kunst liegt ein zentraler Fokus der „Nice Gallery“ auf dem Raum selbst, auf den Bewegungen und Perspektiven, die sich in ihm eröffnen, also der Erfahrung. Auch ohne VR-Brille soll sich ein realitätsnahes Gefühl, ein möglichst authentisches (Ausstellung-)Erlebnis einstellen. Besonderes Augenmerk haben wir daher auf die vollkommene Bewegungsfreiheit der Nutzenden im Raum, maßstabsgetreue Blickwinkel aus der „Ich-Perspektive“ und die Möglichkeit der Interaktion mit den räumlichen Gegebenheiten gelegt – das alles im besten Fall möglichst niedrigschwellig.

Und wie genau funktioniert das?

Wir arbeiten schon seit langer Zeit mit der Medienkünstlerin ­Agnieszka Lemmer zusammen, die uns bei der technischen Umsetzung, also beim Programmieren und bei der Gestaltung der Räumlichkeiten unterstützt hat. Das war auch ein Prozess. Zunächst haben wir versucht, unsere Räumlichkeiten zu scannen, das hat nicht so gut geklappt. Also haben wir quasi alles Stein für Stein online neu gebaut. Das ganze Projekt lässt sich auch als Experiment verstehen, als Learning. Die Kulturstiftung der Länder hat uns dabei stets ermutigt, Neues zu wagen. Am Anfang war ja noch nicht klar, ob und wie unsere Idee überhaupt realisierbar ist. Mittlerweile haben wir den Dreh aber ganz gut raus. Es ist ein Modell entstanden, das wir nun immer wieder mit neuen Ausstellungen bespielen können und für das wir Werkzeuge entwickelt haben, um nun auch effizienter zu sein. Grund­elemente wie der Boden und die Wände lassen sich nun mit wenigen Clicks verändern. Die „Nice Gallery“ wird über WebGL geschaltet, also vom PC aus zugänglich sein. Die Steuerung erfolgt dann über die Maus und Tastatur. Da wir auf die bestehenden WebGL-Standards für die Übertragung dreidimensionaler Inhalte in Web-Browsern angewiesen sind, lässt sich leider noch nicht alles, was wir entwickeln, 1:1 ins Internet und zu den Nutzern transportieren. Allerdings bereits eine ganze Menge.

Spart diese Form der digitalen Ausstellungen nicht auch Ressourcen ein? Weniger Materialien als im physischen Raum, weniger Transportkosten für Kunstwerke?

Das war anfangs schon die Idee. Aber da muss ich sagen: In fünf Minuten ist die Wechselausstellung nicht gemacht. Jedes neue Bild, das wir im digitalen Raum hängen, muss vorher aus mehreren Perspektiven aufgenommen worden sein, damit sich die unterschiedlichen Blickwinkel im digitalen Raum eröffnen können. Gleichzeitig ändert sich mit jedem Werk im Raum der Schatten, die Lichtsetzung muss angeglichen, die Bildrechte, die online anders sind, bezahlt werden. Es gibt viele unplanbare Komponenten. Und natürlich bekommen die Künstlerinnen und Künstler auch hier ein Honorar. Da sind Sie auch bei einer Ausstellung im virtuellen Raum schnell bei 6.000 bis 7.000 Euro. Außerdem muss man bedenken: Die Produktion verschlingt enorme Rechnerkapazität. Wir haben es geschafft, die jeweils zum Zeitpunkt ihres Erscheinens neuesten und am besten ausgestatteten Rechner mit unseren Ideen in die Knie zu zwingen. Häufig mussten wir folglich mit zwei Hochleistungsrechnern gleichzeitig arbeiten, um zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen. Dass uns diese Ressourcen zur Verfügung standen, verdanken wir KULTUR.GEMEINSCHAFTEN. Also, um Ihre Frage zu beantworten: ja und nein.

Ging es Ihnen auch darum, eine größere Reichweite zu erzielen und mehr Menschen Zugänge zu eröffnen?

Unser Ziel war es, die Nutzer dort abzuholen, wo sie meistens sind, nämlich im Internet. Deshalb durfte es keine Restriktionen beim Zugang geben, wie z. B. erforderliche Plug-ins oder die Nutzung von Apps, die erst installiert werden müssten. Wir wollten quasi einen Begegnungsort im Digitalen. Görlitz ist als Stadt an der deutsch-polnischen Grenze ja prädestiniert, grenzüberschreitend zu agieren und überregional Zugehörigkeit zu schaffen. Alle unsere Ausstellungen, analog und virtuell, finden dreisprachig statt: in Deutsch, Polnisch und Englisch. Gespräche unter Besuchenden der „Nice Gallery“ sind momentan zwar noch nicht möglich, aber wir arbeiten schon an Formaten, die auch eine Online-Kommunikation ermöglichen.

Interview: Anna Marckwald

Dieser Beitrag ist im Dezember 2022 im Magazin Arsprototo (Ausgabe 02/2022) erschienen.

ZUM PROJEKTPROFIL

Mit Klick auf [„Video starten“] stimmen Sie zu, dass [YouTube] Cookies setzt und personenbezogene Daten erhebt, welche ggf. in Drittländer übertragen werden, die kein mit der EU vergleichbares Datenschutzniveau aufweisen. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.