Klick. Treppe. Klick. Links. Klick. Zoom. Noch erkennt man den Text auf der Informationstafel nicht. Klick. Ranzoomen. Sofort ist die Schrift klar zu lesen. Uns offenbart sich die Geschichte hinter den floralen Tellern, Tassen und Suppenschüsseln aus dem Hause der berühmten Keramikfabrik Villeroy & Boch. Schon 1791 begann die Familie Villeroy mit der Produktion von edlem Steingut im heutigen Wallerfangen. Klick. Bewegt man sich die Treppe des historischen Museums Wallerfangen hinunter, finden wir uns zwischen einem bis zu 40.000 Jahre alten Schaber aus Quarzit eines Neandertalers, Pfeilspitzen der bäuerlichen Bevölkerung des 5. Jahrtausend v. Chr. und dem Schmuck der Keltenfürstin von Wallerfangen wieder. Der goldene Ringschmuck zeugt von dem Stellenwert, die der Ort im Saarland um 500 v. Chr hatte. Doch irgendwas scheint anders an diesem Museumsbesuch. Wir sind gar nicht in Wallerfangen. Mit wenigen Klicks bewegen wir uns durch die regionale Geschichte der Gemeinde, von der Besiedlung der Region in der Steinzeit bis zur Gegenwart. Alles vom heimischen Sofa aus.
Im Rahmen der Förderung von KULTUR.GEMEINSCHAFTEN gelang dem Historischen Museum Wallerfangen der Sprung in die Zukunft. Nachdem das 1983 gegründete ehemalige „Heimatmuseum“ schon 2015 grundlegend renoviert wurde, steht jetzt das Projekt „Digitale Zukunft“ im Fokus. Die Dauerausstellung über die regionale Geschichte und der umliegende römische Azuritbergbau werden nach und nach digitalisiert. Die Stollen sind für die Gemeinde Wallerfangen von historischer Bedeutung. In den ersten Jahrhunderten nach Christus gewannen die Bergleute aus dem 65 Meter langen unterirdischen Gang das äußerst seltene blaue Kupfermineral Azurit. Um auch diesen Teil der Geschichte im Museum erlebbar zu machen, entsteht aktuell ein 3D-Modell, das die schwer zugänglichen Stollen leicht begehbar macht. Die Idee dahinter: den Besuchern alles, was nicht ins Museum geholt werden kann, dennoch verfügbar zu machen.
Eines der Projekte ist bereits abgeschlossen: der virtuelle Museumsrundgang. Wer den Weg nach Wallerfangen gefunden hat und bereit ist, in eine Welt der Computerspielästhetik einzutauchen, kann sich die futuristischen VR-Brillen überziehen und durch die Ausstellung „laufen“. „Die technisch-spielerische Komponente bringt einen überraschenden Twist mit in den Besuch“, sagt Stefan Michelbacher, Projektleiter „Digitale Zukunft“. Schon für die Idee des digitalen Museumsbesuchs hat der Verein für Heimatforschung, der sich um die Institution kümmert, großen Zuspruch aus der Gemeinde bekommen. „Jetzt wo es umgesetzt ist, sind die Kinder ganz wild darauf, die digitalen Möglichkeiten auszuprobieren“, erzählt Amateurhistoriker Stefan Michelbacher, der im wirklichen Leben Technischer Betriebswirt eines saarländischen Stahlunternehmens ist. „Das freut uns, denn ein historisches Museum ist normalerweise eben nicht Walt Disney.“ Mit speziellen 360-Grad Kameras und hochspezialisierter Software haben die ehrenamtlichen Mitglieder gemeinsam mit dem Fotospezialisten Andreas Lesch das virtuelle 3D-Modell des historischen Museums erarbeitet. Was für ein kleines ländliches Museum schon ein riesiger Schritt ist, sei nur der Anfang von allem. Das ist für Michelbacher und seine Kollegen ganz klar, denn die technischen Möglichkeiten schießen gegenwärtig aus dem Boden. Doch mit der Umsetzung kommen auch die Schwierigkeiten. Die digitale Ergänzung des Angebots ist für das Museum keine kleine Herausforderung, und auch die Corona-Pandemie habe die Digitalisierung nicht unbedingt beschleunigt, lässt Michelbacher durchblicken. „Bei so komplexen technischen Prozessen wie dem 3D-Scan waren wir bereits in der Beschaffung von Schlüsseltechnologien abhängig. Zeitweise mussten wir ein halbes Jahr auf einzelne Kameraobjektive warten, um weiterzuarbeiten.“ Das Durchhalten hat sich gelohnt und der Zuspruch für die modernen Stationen ist groß. Die anfängliche Skepsis einiger Mitarbeiter, dass als Folge des virtuellen Spaziergangs die echten Museumsbesucher ausbleiben, ist verflogen. Die Technik ist Ergänzung, keine Konkurrenz. Da sind sich mittlerweile alle einig.
Zwei andere Vorhaben liegen Michelbacher und den anderen Mitarbeitern besonders am Herzen. Wallerfangen ist mit der höchsten Dichte an Bronzefunden in Deutschland gesegnet – allein beim Hortfund „Eichenborn“ von 1850 wurden 67 vergrabene Bronzeobjekte aus dem 9. Jhd. v. Chr. geborgen. Das machte Wallerfangen zwar historisch bedeutsam, der kleine Ort hatte aber keine Möglichkeit, die Bronzestücke selbst auszustellen. So wurden viele der wertvollen Funde verstreut, zum Beispiel nach Paris: Das Musée d’Archéologie Nationale in Saint-Germain-en-Laye ersteigerte 1868 den gesamten Eichenborn-Fund, die Stücke schienen für immer verloren. Doch das Projekt „Fundstücke im Exil“ holt das kulturelle Erbe jetzt zurück. Aber nicht etwa in echt, sondern rein digital. „Die Exponate stehen im Rheinischen Landesmuseum in Bonn und auch im Archäologischen Museum in Paris. Jetzt machen wir sie durch 3D-Scans wieder erfahrbar. Ein Bronzeschwert am Bildschirm zu drehen und von allen Seiten zu sehen, ist spannender als auf einem klassischen 2D-Bild“, freut sich Michelbacher. Hinzu komme, dass so der Austausch zwischen dem Standort in Wallerfangen und internationalen Museen gestärkt werde.
Das andere Herzensprojekt des digitalen Museums ist das virtuelle Modell der Azuritbergwerke, dem historischen Alleinstellungsmerkmal der Region, wie Michelbacher betont. „Die engen und niedrigen Gänge der Stollen sind so konzipiert, dass sie leider nicht für neugierige Besucher ausgelegt sind.“ Eine andere Lösung musste her. Gemeinsam mit dem Bergbau-Museum Bochum, das die Erforschung des römischen Azuritbergbaus zu seiner Kernaufgabe zählt, wurde die Begehung des Stollens „Bruss“ geplant. Ausgestattet mit Helmen, Gummistiefeln, Handscheinwerfern und 360-Grad Kameras machten sich also Stefan Michelbacher und Andreas Lesch selbst auf den Weg in die Tiefe des Berges. Möglichst jeder Winkel und jeder Kriechgang, jedes Gesenk und jeder in den Stollen geschlagene Pfeiler wurden abgefilmt. Das aus den Bildern und Videos zusammengesetzte 3D-Modell ermöglicht nun doch eine detailreiche Tour unter Tage. Schaut man durch die VR-Brille, meint man fast noch etwas blaues Kupfermineral an den Wänden des Stollens schimmern zu sehen.
Text: Leonie Lotti Soltys
Dieser Beitrag ist im Juli 2022 im Magazin Arsprototo (Ausgabe 01/2022) erschienen.